Infobrief Servicebereich Personal 11 / 2019

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11 / 2019
21.05.2019

Infobrief Servicebereich Personal

An alle Mitgliedsorganisationen

Inhalt

»Aktuelle Rechtsprechung

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit diesem Infobrief erhalten Sie Informationen zum aktuellen EuGH-Urteil über die Verpflichtung von Arbeitgebern zur systematischen Arbeitszeiterfassung.

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Mit herzlichen Grüßen

Bettina Schweizer

 

Aktuelle Rechtsprechung 

Entscheidung des EuGH: Arbeitgeber sollen zur systematischen Arbeitszeiterfassung verpflichtet werden

Mit Urteil vom 14.05.2019 (C-55/18) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass die Mitgliedstaaten Arbeitgeber dazu verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten (Rn. 60 des Urteils), mit dem die geleistete tägliche Arbeitszeit aller Arbeitnehmer*innen erfasst und gemessen werden kann.

 

In seiner Begründung weist der EuGH zunächst auf die Bedeutung des Grundrechts eines jeden Arbeitnehmers und einer jeden Arbeitnehmerin auf eine Begrenzung der täglichen Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten hin. Verbürgt sei dieses Grundrecht in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und werde inhaltlich durch die europäische Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG weiter präzisiert. Das Grundrecht soll die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer*innen schützen.

 

Aus Sicht des Gerichtshofs muss auf nationaler Ebene durch den Erlass entsprechender gesetzlicher Regelungen dafür Sorge getragen werden, dass es in Betrieben oder Unternehmen ein System gibt, mit dem die tägliche und wöchentliche Arbeitszeit von Arbeitnehmer*innen objektiv und verlässlich erfasst werden kann. Dies soll Arbeitnehmer*innen als schwächere Partei des Arbeitsvertrages ermöglichen, ihre „Schutzrechte“ nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) durchzusetzen. Dazu gehören insbesondere die tägliche und wöchentliche Höchstarbeitszeit (§ 3 ArbZG), die Ruhepausen (§ 4 ArbZG) sowie die ununterbrochene Ruhezeit nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit (§ 5 ArbZG).

 

Nach § 16 Abs. 2 ArbZG ist der Arbeitgeber derzeit nur dazu verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit von Arbeitnehmer*innen aufzuzeichnen und die Nachweise mindestens 2 Jahre aufzubewahren. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Erfassung der gesamten Arbeitszeit und deren Lage, d.h. Beginn, Ende und Unterbrechungen, kennt das deutsche Arbeitszeitgesetz bisher nicht.

 

Nach dem vorliegenden Urteil des EuGH obliegt es nun den einzelnen Mitgliedstaaten der europäischen Union, die konkreten Modalitäten zur Umsetzung eines solchen Arbeitszeiterfassungssystems zu bestimmen und dabei gegebenenfalls den Besonderheiten bestimmter Tätigkeitsbereiche oder bestimmter Unternehmen Rechnung zu tragen (Rn. 63 ff des Urteils).

 

Bedeutung für die Praxis:

Das Urteil des EuGH führt zu keiner unmittelbaren Inpflichtnahme deutscher Arbeitgeber. Es liegt jetzt an den Mitgliedstaaten das jeweilige nationale Arbeitszeitrecht entsprechend anzupassen.

 

Eine große Anzahl von Arbeitgebern in Deutschland erfassen bereits jetzt schon mithilfe unterschiedlicher Systeme die gesamten Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer*innen. Viele Arbeitgeber praktizieren eine derartige Erfassung jedoch noch nicht. Eine solche Handhabung, auf eine systematische Erfassung der täglichen Arbeitszeiten von Arbeitnehmer*innen zu verzichten und stattdessen nur einen zeitlichen Rahmen für die Erbringung der Arbeitsleistung vorzugeben, wird so nicht mehr möglich sein.

 

Es bleibt jedoch abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber diese EuGH-Entscheidung in nationales Recht umsetzt und ob er ggf. für bestimmte Arbeitgeber, Tätigkeiten oder Bereiche Ausnahmen von einer generellen Aufzeichnungspflicht zulässt. Bereits bestehende Arbeitszeitmodelle und Zeiterfassungssysteme müssen im Zuge der Umsetzung der EuGH-Entscheidung möglicherweise angepasst werden.
 

Presseberichte zum EuGH-Urteil vom 14.05.2019, Az. C-55/18:

https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/arbeitszeiterfassung-altmaier-will-urteil-vorerst-nicht-umsetzen-16198903.html

https://www.tagesschau.de/wirtschaft/eugh-arbeitszeiten-107.html

 

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